Hintergrund zur geplanten Reform des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes
Die niedersächsische Landesregierung plant eine Reform des Tariftreue- und Vergabegesetzes, wonach künftig nur noch solche Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten sollen, die nach Branchentarifen entlohnen. Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) und Arbeitsminister Andreas Philippi (SPD) präsentierten jüngst, mit Rückhalt des Kabinetts der rot-grünen Landesregierung, den entsprechenden Gesetzentwurf. Ziel sei es laut Landesregierung, faire Löhne zu sichern und Lohndumping entgegenzuwirken.
Allerdings stößt diese Initiative bei Oberbürgermeistern und Bürgermeistern erhebliche Kritik aus. Der Niedersächsische Städtetag hat sich klar gegen den Gesetzentwurf positioniert. Die Kommunen sehen darin einen weiteren Anstieg bürokratischer Anforderungen zulasten der Vergabeverfahren.
Kritikpunkte des Niedersächsischen Städtetages
In einem Brief an Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) äußerte der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages, Jan Arning, deutliche Bedenken:
- Die verpflichtende Einhaltung von Branchentarifen führe zu einem "weiteren Aufbau von Bürokratie".
- grundsätzlich existiere bereits eine ausreichende Fairness bei öffentlichen Aufträgen, zusätzliche gesetzliche Regelungen seien unnötig.
Der Präsident des Städtetages und Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD) fordert sogar explizit eine "vollständige Entlassung der Kommunen aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts". Vergleichbare Bestrebungen seien laut Städtetag auch in anderen Bundesländern, etwa Bayern und Nordrhein-Westfalen, zu beobachten.
Debatte um Höhe der Wertgrenzen bei Direktvergaben
Ein weiterer Streitpunkt innerhalb der geplanten Reform betrifft die Wertgrenzen für sogenannte Direktaufträge, also öffentliche Aufträge, die ohne aufwendige formelle Ausschreibungen erfolgen können. Aktuell liegen diese Grenzen in Niedersachsen bei 1.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen und 3.000 Euro für Bauleistungen.
Die Landesregierung möchte diese Wertgrenzen nun spürbar anheben:
- Es ist vorgesehen, die Direktauftragsgrenze grundsätzlich auf 20.000 Euro zu erhöhen.
- Für schulische Bereiche, insbesondere zur Organisation von Klassenfahrten und Veranstaltungen, ist sogar eine Grenze bis zu 100.000 Euro vorgesehen.
Doch auch bei diesen geplanten Änderungen fordert der Städtetag eine deutlich weitergehende Erleichterung. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann argumentiert, Niedersachsen liege auch nach diesen Erhöhungen noch hinter den Regelungen anderer Bundesländer zurück. Aus Sicht der Kommunen müssten die Wertgrenzen erheblich angehoben werden, damit Investitionen zügiger umgesetzt werden können.
Zusammenhang mit Infrastrukturinvestitionen
Als maßgebliches Argument für deutliche Vereinfachungen im Vergabeverfahren nennen die Kommunen die geplanten Großinvestitionen in die Infrastruktur. Es stehen erhebliche Mittel, darunter Gelder aus dem Sondervermögen Infrastruktur, zur Verfügung. Kommunen sind besorgt, dieses Kapital aufgrund bürokratischer Hürden und komplexer Ausschreibungsverfahren nicht zeitnah ausreichend abrufen und effizient einsetzen zu können.
"Die Kommunen brauchen dringend mehr Beinfreiheit im Vergaberecht, sonst kriegen sie die Mittel für Investitionen nicht auf die Straße", so Jürgen Krogmann.
Reaktionen von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden
Die gewerkschaftliche Seite, vertreten durch den DGB-Landesvorsitzenden Mehrdad Payandeh, hat die Gesetzesinitiative der Landesregierung ausdrücklich begrüßt. Eine Verpflichtung der Unternehmen zur Einhaltung von Branchentarifen sei aus ihrer Sicht lang überfällig.
Gleichzeitig kritisiert der Städtetag die bisherige politikinterne Ambivalenz von Olaf Lies, der in seiner Rolle als Wirtschaftsminister sowohl gewerkschaftliche als auch wirtschaftliche Interessen gleichzeitig zu bedienen versucht habe. Als künftigem Ministerpräsidenten könne dies dann schwieriger werden: Lies müsste sich demnach stärker auf eine übergreifende Vermittlerrolle konzentrieren und die Interessen der Kommunen deutlicher einbeziehen.
Fazit und Ausblick
Die geplante Reform des Tariftreue- und Vergabegesetzes stellt einen entscheidenden Konflikt zwischen der niedersächsischen Landesregierung und den Kommunen dar. Während die Absicht fairer Entlohnung grundlegend positive Reaktionen erhält, sehen Kommunen drastische bürokratische Zunahmen und eine mangelnde Flexibilität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Ebenso brisant bleibt die Debatte um Wertgrenzen bei Direktvergaben. Kommunen fordern deutliche Erhöhungen, um schneller und effizienter investieren zu können.
Ein Kompromiss, der sowohl Arbeitnehmerinteressen nach fairen Tariflöhnen als auch die kommunalen Wünsche nach Vereinfachungen und höherer Autonomie respektiert, wird nun wesentlich darüber entscheiden, wie effektiv künftige Infrastrukturmaßnahmen realisiert werden können.
Weitere Informationen zu den Grundlagen des Vergaberechts finden Sie in den Vorschriften der VgV §14, GWB §97, UVgO §8 und VOB/A §3a.