Verhandlungsverfahren

Das Verhandlungsverfahren

Im komplexen Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe spielen unterschiedliche Verfahren eine entscheidende Rolle. Während die öffentliche Ausschreibung sowie die beschränkte Ausschreibung zu den verbreitetsten Verfahren zählen, stellt das Verhandlungsverfahren eine besondere und zugleich komplexere Form der Auftragsvergabe dar. Die Zulässigkeit und Durchführung des Verhandlungsverfahrens sind dabei detailliert in verschiedenen vergaberechtlichen Vorschriften geregelt, insbesondere im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), in der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV), der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) sowie den Regelungen der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO).

Definition und Abgrenzung des Verhandlungsverfahrens

Das Verhandlungsverfahren ist eine Verfahrensart im Vergaberecht, bei dem der öffentliche Auftraggeber mit ausgewählten Unternehmen über die Angebote verhandeln kann. Es unterscheidet sich von der offenen Ausschreibung dadurch, dass Verhandlungen – nach bestimmten Voraussetzungen und Regeln – erlaubt und üblich sind, während in der offenen Ausschreibung grundsätzlich Verhandlungen über Angebote ausgeschlossen sind.

Grundsätzlich lassen sich zwei Formen des Verhandlungsverfahrens unterscheiden:

  • Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb: Hier wird im ersten Schritt ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt, bei dem potentielle Bewerber anhand definierter Kriterien ausgewählt werden. In einem zweiten Schritt finden dann Verhandlungen mit diesen ausgewählten Bewerbern statt.
  • Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb: Hier entfällt eine vorherige öffentliche Bewerbungsphase, angesprochene und ausgewählte Unternehmen werden direkt vom öffentlichen Auftraggeber zur Verhandlung aufgefordert.

Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen zur Anwendung

Die rechtlichen Voraussetzungen zum Einsatz des Verhandlungsverfahrens sind strikt geregelt. Im Ober- und Unterschwellenbereich finden sich die wesentlichen Grundlagen in folgenden Normen:

  • Oberhalb der EU-Schwellenwerte: Geregelt in den §§ §119 GWB, §14 VgV.
  • Bauvergaben: In spezifischen Fällen in der §3a EU VOB/A.
  • Unterschwellenbereich: Geregelte Anwendung in der §8 UVgO.

Nach §14 VgV darf das Verhandlungsverfahren nur angewendet werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere wenn:

  • zuvor keine oder keine geeigneten Angebote eingegangen sind,
  • die Beschaffung aufgrund ihrer besonderen Natur, Komplexität oder rechtlichen bzw. technischen Rahmenbedingungen nicht präzise spezifiziert werden kann,
  • dringliche Gründe die Einhaltung der Fristen bei anderen Verfahren unmöglich machen oder
  • künstlerische oder urheberrechtlich geschützte Gegenstände zu beschaffen sind.

Darüber hinaus erlaubt die §119 GWB diese Verfahrensart nur, wenn sie explizit vorgesehen und begründet ist. Die Bestimmungen des GWB verweisen dabei auf europäische Rechtsprechung und Vorgaben, welche die Bedingungen weiter verdeutlichen.

Ablauf und Durchführung eines Verhandlungsverfahrens

Die praktische Durchführung eines Verhandlungsverfahrens erfordert klare Strukturierung und Dokumentation. Typischerweise läuft ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb in folgenden Phasen ab:

Phase 1: Bekanntmachung und Teilnahmeanträge

Im Amtsblatt der EU (TED) und ggf. nationalen Portalen veröffentlichen öffentlicher Auftraggeber zunächst eine Bekanntmachung. Unternehmen können sich daraufhin um Teilnahme bewerben und reichen dazu geeignete Unterlagen ein. Der Auftraggeber prüft anhand definierter Kriterien die Eignung der Unternehmen.

Phase 2: Auswahl geeigneter Bewerber

In dieser Phase erfolgt die Auswahl der Bewerber, die die Mindestanforderungen erfüllen. Nach einer qualitativen Vorauswahl werden die geeignetsten Kandidaten zu den eigentlichen Verhandlungen eingeladen.

Phase 3: Angebotsaufforderung und Angebotsabgabe

Die ausgewählten Unternehmen erhalten ausgeschriebene Unterlagen mit technischen und inhaltlichen Anforderungen sowie den Aufforderungen zur Angebotsabgabe. Sie reichen ihre Angebote ein, welche als Grundlage für die anschließenden Verhandlungen dienen.

Phase 4: Verhandlungen

In dieser entscheidenden Phase führt der öffentliche Auftraggeber mit jedem ausgewählten Bewerber individuell Verhandlungen. Ziel hierbei ist, die Angebote hinsichtlich technischer, finanzieller oder vertraglicher Aspekte zu optimieren. Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Chancengleichheit müssen strikt eingehalten werden. Alle Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Ausschreibungsinhalt müssen dokumentiert und allen Bewerbern gleichermaßen mitgeteilter werden.

Phase 5: Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe und Zuschlag

Nach Abschluss der Verhandlungen ergehen Aufforderungen zur Abgabe finaler Angebote. Diese schließlich eingereichten, finalisierten Angebote werden bewertet, und der wirtschaftlichste Kandidat erhält den Zuschlag für den Auftrag.

Besondere Herausforderungen und Risiken beim Verhandlungsverfahren

Das Verhandlungsverfahren bietet einerseits ein hohes Maß an Flexibilität, birgt aber andererseits diverse rechtliche und praktische Risiken:

  • Hohe Transparenzpflichten: Aufgrund der Verhandlungen steigen Dokumentationspflicht und Verwaltungsaufwand erheblich. Fehlerhafte Dokumentation kann zu Vergabenachprüfungen und rechtlichen Problemen führen.
  • Potenzielle Diskriminierung: Verhandlungen erhöhen die Gefahr eines ungleichen oder intransparenten Vorgehens, weshalb besondere Sorgfalt geboten ist.
  • Zeit- und Kostenfaktor: Frühe Abstimmungen reduzieren Risiken, gleichzeitig entstehen aber bei längeren Verhandlungsvarianten hohe interne und externe Kosten.

Einsatzgebiete, Praxisrelevanz und Erfahrungswerte

In der Praxis ist das Verhandlungsverfahren insbesondere bei komplexen technischen Projekten, IT-Beschaffungen, innovativen Lösungen, langfristigen Rahmenvereinbarungen sowie Großbauvorhaben sinnvoll und etabliert. Praxisbeispiele zeigen, dass speziell bei IT-Projekten oder Infrastrukturvorhaben oft mit dem Verhandlungsverfahren gearbeitet wird, um detailgenaue Abstimmungen von komplexen Sachverhalten effektiv zu bewältigen.

Fazit und Ausblick

Das Verhandlungsverfahren nimmt im deutschen Vergaberecht eine zentrale Rolle bei komplexen Ausschreibungen ein. Es bietet entscheidende Vorteile: Eine flexible, lösungsorientierte und praxisnahe Vergabegestaltung. Andererseits sind Vergabestellen mit besonderen Herausforderungen hinsichtlich Transparenz, Diskriminierungsfreiheit, Dokumentation und Kostenmanagement konfrontiert.

Das Verhandlungsverfahren sollte – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben (§ §119 GWB, §8 UVgO, §14 VgV, §3a EU VOB/A) – umsichtig und begründet eingesetzt werden. Eine ausführliche Planung, erfahrenes Fachpersonal und präzise Dokumentation sind hierbei unerlässlich, um sowohl die Vorteile des Verhandlungsverfahrens voll auszuschöpfen als auch rechtlichen Risiken effektiv vorzubeugen und ein optimiertes Vergabeergebnis zu erzielen.