Losvergabe vs. Gesamtvergabe

Losvergabe vs. Gesamtvergabe

Auftraggeber stehen bei jeder Ausschreibung vor der Entscheidung, ob eine Gesamtvergabe des Auftrages oder eine Unterteilung in verschiedene Teil- oder Fachlose wirtschaftlich und rechtlich sinnvoller ist. Diese Entscheidung beeinflusst sowohl die Planung und Durchführung von Vergabeverfahren als auch die Wettbewerbssituation auf dem Markt maßgeblich. Die genaue Kenntnis der Rechtsgrundlagen und der praktischen Konsequenzen beider Modelle ist daher essentiell für Auftraggeber und Bieter gleichermaßen.

Begriffsdefinitionen und Grundlagen

Zunächst ist es wichtig, sich mit den zentralen Begrifflichkeiten vertraut zu machen:

  • Losvergabe: Unter Losvergabe versteht man die Unterteilung eines öffentlichen Auftrags in verschiedene eigenständige Auftragsteile, sogenannte Lose. Dies sind entweder Teil-Segmente (Teillose), welche räumlich oder nach Menge abgegrenzt werden, oder Fachbereiche (Fachlose), bei denen einzelne unterschiedliche Gewerke oder Leistungsbereiche separat vergeben werden.

  • Gesamtvergabe: Die Gesamtvergabe bezeichnet den Auftrag an einen einzigen Bieter für den kompletten gesamten Leistungsumfang ohne Aufteilung in verschiedene Lose.

Rechtliche Vorgaben zur Losvergabe im Vergaberecht

Die Vorschriften des deutschen Vergaberechts zielen grundsätzlich darauf ab, den Wettbewerb zu fördern und kleinen sowie mittelständischen Unternehmen faire Chancen einzuräumen. Um diese Ziele zu erreichen, ist die Losvergabe das präferierte gesetzliche Leitbild, während die Gesamtvergabe nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.

Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Gemäß §97 Abs. 4 GWB haben öffentliche Auftraggeber grundsätzlich die Pflicht zur losweisen Vergabe, um eine angemessene Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen sicherzustellen. Hierbei bleibt selbstverständlich die notwendige Leistungsfähigkeit des Bieters zu gewährleisten.

Vergabeverordnung (VgV)

Auch die VgV (§22 VgV) fordert ausdrücklich die generelle Vergabe von Leistungen in Teil- oder Fachlosen. Abweichungen von dieser Regelung sind jedoch unter bestimmten sachlichen Voraussetzungen zulässig, etwa wenn wirtschaftliche oder technische Gründe vorliegen, welche eine Gesamtvergabe zwingend erforderlich erscheinen lassen.

Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)

Für Vergaben unterhalb der europäischen Schwellenwerte sind die wesentlichen Grundsätze ebenfalls in der UVgO (§22 UVgO) definiert. Auch hier wird dem Losprinzip Vorrang eingeräumt, um den Mittelstand zu fördern.

VOB/A für Bauleistungen

Besonders bei Bauleistungen greift die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), §5 VOB/A. Diese schreibt für öffentliche Bauaufträge die Vergabe nach Losen ebenfalls vor, erlaubt aber in begründeten Ausnahmefällen ausdrücklich eine Gesamtvergabe, wenn technische, wirtschaftliche oder zeitliche Erwägungen diese rechtfertigen.

Voraussetzungen und Ausnahmen der Gesamtvergabe

Obwohl das Losprinzip gesetzlich klar präferiert wird, lässt das Vergaberecht Ausnahmen zu. Die Gesamtvergabe ist rechtmäßig, soweit hierfür sachgerechte Gründe dokumentiert werden. Diese Gründe müssen eindeutig, nachvollziehbar und belastbar sein. Die relevanten Ausnahmen beziehen sich typischerweise auf folgende Kriterien:

  • Wirtschaftliche Gründe: Wenn eine Aufteilung unwirtschaftlich wäre, beispielsweise durch unverhältnismäßige Kostensteigerungen oder zusätzliche Schnittstellenprobleme, kann dies die Gesamtvergabe rechtfertigen.
  • Technische Gründe: Übermäßig komplexe Projekte, deren Zerlegung in unterschiedliche Lose technische Unwägbarkeiten mit sich bringt, ermöglichen ebenfalls die zusammenhängende Vergabe.
  • Organisatorische und zeitliche Aspekte: Zeitlich stark limitierte Projekte oder organisatorische Schwierigkeiten, die bei einer Losvergabe entstünden, können ebenfalls eine Gesamtvergabe begründen.

Vor- und Nachteile der Losvergabe

Die Losaufteilung bietet zahlreiche Vorteile:

  • Höhere Wettbewerbsteilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen (Mittelstandsfreundlichkeit)
  • Förderung regionaler und spezialisierter Dienstleister
  • Stärkere Verhandlungsmöglichkeiten und weniger Abhängigkeit von einzelnen Auftragnehmern

Dennoch existieren auch Risiken und potentielle Nachteile:

  • Erhöhtes Schnittstellen- und Koordinierungsrisiko bei komplexen Projekten
  • Potentieller Mehraufwand bei der Vergabe und Vertragsabwicklung durch verschiedene Vertragspartner
  • Gefahr von zeitlichen Verzögerungen durch notwendige Abstimmung unter mehreren Auftragnehmern

Vor- und Nachteile der Gesamtvergabe

Die Gesamtvergabe bietet den Vorteil einer vereinfachten Vertragsabwicklung:

  • Klare Verantwortlichkeit bei nur einem Auftragnehmer („One Face to the Customer“)
  • Reduzierung organisatorischer Schnittstellenprobleme
  • Einfache Steuerung und Gesamtkoordination

Dem gegenüber stehen jedoch Nachteile der Gesamtvergabe:

  • Deutlich eingeschränkte Wettbewerbsmöglichkeiten für kleinere und regionale Unternehmen
  • Potenziell höhere Abhängigkeit von einem einzelnen Auftragnehmer
  • Eventuelle Erhöhung der Gesamtkosten durch fehlenden Wettbewerb

Gerichtliche Überprüfung und rechtliche Risiken

Die Entscheidung für oder gegen eine Losvergabe bzw. Gesamtvergabe unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Speziell bei Nachprüfungsverfahren prüfen Vergabekammern und Gerichte, ob die Begründung hinreichend ist und rechtliche Maßgaben eingehalten wurden. Eine unzureichend dokumentierte Entscheidung für eine Gesamtvergabe kann zur Anfechtung des Vergabeverfahrens führen und einen erheblichen, kosten- und zeitintensiven Aufwand nach sich ziehen.

Empfehlungen zur Praxis bei der Vergabestrategie

Vergabestellen sollten den gesetzlichen Vorgaben entsprechend primär eine Losvergabe anstreben, sofern es die projektspezifischen Bedingungen erlauben. Eine umfassende und transparente Dokumentation der Entscheidungsfindung ist stets zwingend erforderlich, um Rechtssicherheit zu schaffen und Nachprüfungsverfahren vorzubeugen. Technische, wirtschaftliche und organisatorische Gründe sind dabei konkret und nachvollziehbar darzustellen.

Fazit

In der Praxis des Vergaberechts ist die Differenzierung zwischen Losvergabe und Gesamtvergabe von großer Bedeutung. Gesetzliche Regelungen bevorzugen eindeutig die Losvergabe, jedoch erlauben sie in entsprechenden Fällen auch klare Ausnahmen für eine Gesamtvergabe. Entscheidend ist jeweils, dass die Entscheidung auf einer soliden, nachvollziehbaren Grundlage beruht und umfassend dokumentiert wird. Die Kenntnis der einschlägigen Rechtsgrundlagen und eine strategisch durchdachte Vorgehensweise sichern Rechtssicherheit und gewährleisten gleichzeitig einen wettbewerblichen, wirtschaftlich sinnvollen Ablauf öffentlicher Vergabeverfahren.