Schwellenwerte

Einführung

Das System der Schwellenwerte spielt im deutschen Vergaberecht eine zentrale Rolle. Schwellenwerte definieren, ob eine Beschaffung nach nationalem Recht oder nach europäischem Vergaberecht erfolgen muss. Sie dienen dazu, den Anwendungsbereich spezifischer vergaberechtlicher Vorschriften abzugrenzen. Dieser Artikel informiert ausführlich über die aktuellen Schwellenwerte, deren rechtlichen Hintergrund und die Anwendung in der Vergabepraxis.

Was sind Schwellenwerte?

Schwellenwerte kennzeichnen Betragsgrenzen, deren Überschreitung eine europaweite Ausschreibungspflicht gemäß europäischen Vorgaben auslöst. Unterschreitet die geschätzte Auftrags- oder Beschaffungssumme diese Grenze, findet hingegen das nationale Vergaberecht Anwendung.

Die Schwellenwerte basieren auf europäischen Richtlinien und werden regelmäßig durch EU-Verordnungen aktualisiert. Sie stellen sicher, dass größere Beschaffungsvorhaben der öffentlichen Auftraggeber EU-weit transparent und diskriminierungsfrei ausgeschrieben werden.

Relevante Schwellenwerte im Überblick (Stand 2023)

Die aktuell geltenden Schwellenwerte für öffentliche Aufträge gemäß EU-Vorgaben (gültig seit 1. Januar 2022, Anpassungen erfolgen grundsätzlich alle zwei Jahre) lauten:

  • Liefer- und Dienstleistungsaufträge:
    • für Bundesbehörden: 140.000 Euro (netto)
    • für Subzentrale öffentliche Auftraggeber (z.B. Kommunen, Länder): 215.000 Euro (netto)
  • Bauaufträge aller öffentlichen Auftraggeber: 5.382.000 Euro (netto)
  • Soziale und andere besondere Dienstleistungen (z.B. Gesundheits-, Sozial- und Bildungsdienstleistungen): 750.000 Euro (netto)

Die Beträge sind Nettowerte ohne Mehrwertsteuer.

Rechtliche Grundlagen

Die maßgeblichen Regelungen zu Vergabeschwellenwerten finden sich in folgenden deutschen Verordnungen und Gesetzen:

  • Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§106 GWB): Dieser Paragraph bestimmt maßgeblich den Geltungsbereich europäischer Ausschreibungen in Verbindung mit EU-Richtlinien.
  • Vergabeverordnung (§1 VgV): Hier wird die Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung erläutert, wenn Aufträge die festgelegten Schwellenwerte überschreiten.
  • Unterschwellenvergabeordnung (§1 UVgO): Diese Vorschrift regelt die Vergabe nationaler Liefer- und Dienstleistungen unterhalb der EU-weiten Schwellenwerte.
  • Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (§1 VOB/A): Innerhalb der VOB/A sind nationale Vergabeverfahren für Bauleistungen unterhalb der Schwellenwerte geregelt.

Verfahren bei Überschreiten bzw. Unterschreiten der Schwellenwerte

Überschreitung der Schwellenwerte

Sobald die geschätzten Nettoauftragswerte die oben genannten Schwellenwerte erreichen oder übersteigen, muss eine europaweite Ausschreibung nach den Richtlinien der Europäischen Union erfolgen. Diese Verfahren erfolgen zentral über das EU-Amtsblatt und umfassen u.a.:

  • Offene Verfahren (§ 15 VgV)
  • Nichtoffene Verfahren (§ 16 VgV)
  • Verhandlungsverfahren (§ 17 VgV)
  • Wettbewerblicher Dialog (§ 18 VgV)
  • Innovationspartnerschaften (§ 19 VgV)

Dabei gelten verbindliche Anforderungen an Transparenz, Gleichbehandlung aller Bewerber sowie europaweite Veröffentlichung.

Unterschreitung der Schwellenwerte

Liegt der geschätzte Nettoauftragswert unterhalb der europäischen Schwellenwerte, ergibt sich kein unmittelbarer Zwang zur europaweiten Ausschreibung. Hier gelten stattdessen nationale vergaberechtliche Vorschriften:

  • UVgO (für Dienstleistungen und Lieferungen unterhalb EU-Schwellenwert)
  • VOB/A (für Bauleistungen unterhalb EU-Schwellenwert)

Öffentliche Auftraggeber unterliegen dennoch den Grundsätzen von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb. Nationale Vergaben erfordern daher ebenfalls angemessene Bekanntmachungen (z. B. auf Bekanntmachungsplattformen oder Vergabeportalen der öffentlichen Hand).

Ermittlung und Umgang mit Auftragswerten

Die Schwellenwerte beziehen sich stets auf den geschätzten Nettowert des Auftrags, der sich aus einer sachgerechten Schätzung ergibt (§ 3 VgV). Zu berücksichtigen sind:

  • geschätzter Auftragswert zum Zeitpunkt der Bekanntmachung bzw. Auftragserteilung,
  • alle Optionen und eventuelle Verlängerungen der Vertragslaufzeit,
  • sämtliche Lose des Auftrags, wobei unterschiedliche Lose zu addieren sind, soweit keine Ausnahmen ausdrücklich gesetzlich geregelt werden (vgl. § 3 Abs. 7 VgV).

Fazit

Die Beachtung der Schwellenwerte ist für öffentliche Auftraggeber unerlässlich, um die jeweils korrekte vergaberechtliche Grundlage sicherzustellen. Werden diese Wertgrenzen überschritten, greifen unmittelbar EU-weit verbindliche Ausschreibungsregeln, während unterhalb davon nationale Vergaberegelungen gelten. Die regelmäßige Anpassung der Schwellenwerte durch die EU-Kommission verlangt besondere Aufmerksamkeit bei der Planung und Durchführung öffentlicher Vergaben.

Für Auftraggeber lohnt es sich somit, frühzeitig und präzise die Auftragswerte zu kalkulieren und die vergaberechtlichen Anforderungen entsprechend zu beachten.